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«Wissenschaftsjournalismus ist wirklich systemrelevant»

Weshalb die Schweiz auf einen starken Wissenschaftsjournalismus angewiesen ist, zeige sich in der Coronakrise besonders deutlich, erklärt Mike S. Schäfer von der Universität Zürich im Interview. Er leitet eine Arbeitsgruppe der Akademien, die im 2021 Empfehlungen für langfristig tragfähige Lösungen auch für den Wissenschaftsjournalismus präsentieren wird.

Mike S. Schäfer
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In der Coronakrise sind Epidemiologen und Virologen auf allen Kanälen präsent. Ist das auch eine Blütezeit für den Wissenschaftsjournalismus?

Ja und nein. Einerseits wenden sich viele Schweizerinnen und Schweizer in der momentanen Situation wieder stärker den klassischen journalistischen Medien zu. Und dort geht es momentan natürlich stark um wissenschaftliche Themen und wissenschaftliche Expertise, müssen Infektionsraten und -ketten, Prognosen und Unsicherheiten eingeordnet und erklärt werden. Das zeigt, dass der Journalismus und insbesondere der Wissenschaftsjournalismus wirklich systemrelevant sind.

Andererseits leidet insbesondere der Wissenschaftsjournalismus seit Jahren unter der allgemeinen Krise des Journalismus. Gerade im Wissenschaftsjournalismus werden in den Medienhäusern vergleichsweise schnell Mittel gestrichen. Dafür gab es in der Vergangenheit eine Reihe von Beispielen in der Schweiz. Und die TX Group, die hinter «20 Minuten», dem «Tages-Anzeiger» und der «Sonntagszeitung» und vielen anderen Schweizer Medien steht, hat eben angekündigt, das Wissenschafts-Ressort mit einigen anderen im neuen Ressort «Leben» zusammenzulegen. Man darf gespannt sein, ob das eine gute Entwicklung für den Wissenschaftsjournalismus ist.

Welche Rolle kommt den Wissensredaktionen in Zeitungen und bei Radio und Fernsehen zu?

Wissenschaftliches Wissen spielt in immer mehr Lebensbereichen eine wichtige Rolle. Die Corona-Pandemie ist momentan das alles überschattende Beispiel. Aber wissenschaftliches Wissen spielt auch bei Ernährung und Kindererziehung, bei der Entwicklung schulischer Curricula, beim Umgang mit dem Klimawandel oder im Bereich der Digitalisierung eine zentrale Rolle. Entsprechend wichtig sind Fachleute in den Redaktionen, die die zugrundeliegende Forschung einordnen und kompetent sowie kritisch vermittelt können. Nur ist die Zahl dieser Fachleute in den letzten Jahren eben deutlich geschrumpft. Das ist jetzt schon ein Problem für die Berichterstattung, und es könnte mittelfristig ein Problem für den Wissenschaftsplatz und auch für den Innovationsstandort Schweiz werden.

Alle kommunizieren heute, gerade auch wissenschaftliche Institutionen. Über das Internet sind Informationen stets verfügbar. Weshalb braucht es dennoch Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten?

Das kann man ja auch umdrehen: Gerade weil heute viele Personen und Organisationen über Wissenschaft kommunizieren, braucht es Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten, die Schneisen durch den Informationsdschungel schlagen. Denn zur aktuellen Pandemie, aber auch zu anderen Themen mit Wissenschaftsbezug zirkulieren in Öffentlichkeit und sozialen Medien natürlich auch Falschinformationen und Verschwörungstheorien, die geprüft, eingeordnet und widerlegt gehören.

Gesundheits- und Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten sind es im Übrigen auch, die wissenschaftlichen Organisationen nötigenfalls kritische Fragen stellen und auf Probleme hinweisen. Denn Wissenschaftsorganisationen machen heute zwar exzellente, hochprofessionelle Kommunikation. Sie veröffentlichen eigene Printmagazine, publizieren online und in sozialen Medien, können die hauseigene Forschung sehr gut erklären und schulen ihre Angehörigen im Kommunikationsbereich. Aber kritische Selbstbetrachtung ist nie einfach, dafür braucht man nicht PR, sondern den Blick von Aussen.

Das gilt im Übrigen auch für die positive Selbstbetrachtung: Es ist immer wirksamer, wenn eine Stimme von Aussen sagt, dass man exzellent ist, als wenn man das selbst von sich behauptet.

Was ist die Bedeutung von journalistischen Angeboten in der gesamten Wissenschaftskommunikation? Teile der Bevölkerung sind damit wohl kaum zu erreichen.

Journalismus spielt nach wie vor eine wichtige Rolle in der Wissenschaftskommunikation. Ergebnisse unseres «Wissenschaftsbarometer Schweiz» zeigen zwar, dass die meisten Menschen online mit Wissenschaftsthemen in Kontakt kommen. Aber auch dort stossen sie häufig auf journalistische Inhalte. Zudem sind Printmedien und Fernsehen nach wie vor sehr wichtige Kanäle.

Doch es gibt zwei wesentliche Einschränkungen: Erstens erreichen Wissenschaftsthemen junge Schweizerinnen und Schweizer schon heute am häufigsten über YouTube – und dort ist der Anteil journalistischer Inhalte nicht allzu hoch. Darauf müsste man reagieren.

Zweitens zeigen Studien, dass sich nicht unbedeutende Teile der Bevölkerung nicht in etablierten journalistischen Medien informieren. Ein Teil davon ist desinteressiert an Wissenschaft und informiert sich entsprechend auch nicht darüber. Ein anderer Teil ist interessiert, hat aber andere Ansichten und konsultiert alternative Medien, auf denen eher Informationen und Meinungen zu finden sind, die vom wissenschaftlichen Sachstand abweichen.

Beide Gruppen sind in der Schweiz momentan noch recht klein, gerade im Vergleich zu den USA. Es wäre aber wünschenswert, dass sie auch künftig nicht allzu sehr wachsen – und ein starker und qualitativ hochwertiger Wissenschaftsjournalismus kann dabei helfen.

Der Strukturwandel ist Realität. Die Medien scheinen fortwährend zu schrumpfen. Aber der Bedarf an Informationen ist ungebrochen gross. Gibt es Ansätze, um in der heutigen Zeit guten Journalismus machen und finanzieren zu können?

International wird eine Reihe von Modellen getestet: «Science Media Center» z.B. existieren in mehreren Ländern, meist stiftungsfinanziert und versorgen Journalistinnen und Journalisten kostenlos mit Rohmaterial für die Berichterstattung wie Zitaten oder Faktenblätter. «The Conversation», in Australien entstanden, ist ein von Hochschulen finanziertes Medium, das evidenzbasierte Artikel zu verschiedenen Themen anbietet, die von anderen Medien kostenlos übernommen werden können.

In der Schweiz gibt es mit dem, neuerdings via Crowdfunding finanzierten, «Higgs» oder «Heidi.news» eigene Versuche, Wissenschaftsjournalismus jenseits der etablierten Medien auf die Beine zu stellen. Ausserdem finanzieren führende Wissenschaftsorganisationen wie die Akademien der Wissenschaften Schweiz zwei WissenschaftsjournalistInnen bei Keystone-SDA, der Schweizerischen Nachrichtenagentur.

Welche dieser Modelle tragfähig und die richtigen sind, wird sich zeigen müssen. Bei den Akademien der Wissenschaften Schweiz analysiert momentan die ExpertInnengruppe «Communicating the Sciences and Arts in Times of Digital Media» die aktuellen Entwicklungen und wird im Frühjahr 2021 Empfehlungen dazu aussprechen.

Könnte die Coronakrise ein Wendepunkt sein, damit die Gesellschaft dem Abbau eine tragfähige Lösung für qualitativ hochstehenden Journalismus entgegenstellt?

Das könnte sein – und ich persönlich würde mir das wünschen. Als demokratische Gesellschaft müssen wir einen Weg finden, um einen starken, kompetenten und kritischen Journalismus erhalten zu können.

Mike S. Schäfer ist Professor für Wissenschaftskommunikation an der Universität Zürich. Er präsidiert die a+ Arbeitsgruppe «Communicating the Sciences and Arts in Times of Digital Media».

Das Interview führte Marcel Falk, SCNAT.

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