Natur hilft bei Anpassung an Klimawandel in den Bergen
ProClim Flash 76
Gebirge bedecken fast einen Viertel der Landfläche unserer Erde. Hier wirkt sich der Klimawandel besonders stark aus, wie der neueste Klimabericht dokumentiert. Naturbasierte Lösungen können bei der Anpassung helfen, jedoch werden die Möglichkeiten mit zunehmender Erwärmung eingeschränkt.
Text: , Universität Zürich
Im zweiten Teil des Sechsten Sachstandsberichtes untersucht der Weltklimarat IPCC die Folgen des Klimawandels, die Verletzlichkeit von Mensch und Natur und die Möglichkeiten sich anzupassen. Der neueste Bericht enthält auch Kapitel, in denen bestimmte Landschaftstypen aus einer ganzheitlichen Perspektive betrachtet werden. Ein solches Kapital befasst sich mit Gebirgen.
Berge weisen eine hohe biologische und kulturelle Vielfalt auf, sie machen etwa 23,5 Prozent der globalen Landesfläche aus und sind die Heimat für über 1,2 Milliarden Menschen (basierend auf der Abgrenzung in Adler et al. 2022)1. Der Klimawandel wirkt sich hier sehr stark aus: Berge sind Hotspots von Veränderungen, die Ökosysteme sowie Menschen gleichermassen betreffen. Einige dieser Veränderungen, wie z.B. der Rückgang von Gletschern und Veränderungen bei der Artenverteilung, sind bereits im Gange und über lange Zeit unumkehrbar.
Naturgefahren nehmen bei steigenden Temperaturen zu
Die Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel werden mit zunehmenden Temperaturen ansteigen, man denke hier beispielsweise an häufigere Überschwemmungen oder Erdrutsche. Dabei sind nicht alle Regionen der Welt gleich stark betroffen: Besonders stark in Mitleidenschaft gezogen werden könnten vor allem Gebirgsregionen in Entwicklungsländern, wo der Klimawandel gar die Existenzgrundlage vieler Menschen bedrohen könnte. Angesichts des kurzen Zeitfensters, das zur Verfügung steht, um weitere Verluste und Schäden zu vermeiden, ist handeln also dringend erforderlich.
Der aktuelle Klimabericht zeigt auf, dass in jeder Region und jedem Sektor ein gewisses Mass an Anpassung stattgefunden hat. In Bezug auf Gebirgsregionen konnte festgestellt werden, dass die Anpassung an den Klimawandel hauptsächlich durch Verhaltensänderungen stattfand. Gemeint damit sind Handlungen, bei denen Menschen ihre Häuser, ihr Leben oder ihren Lebensunterhalt anpassen, um sich vor drohenden Gefahren zu schützen. So könnte ein Bauer beispielsweise eine neue Kulturpflanze einsetzen, die widerstandsfähiger gegen Dürren oder höhere Temperaturen ist, damit er auch zukünftig sichere Erträge hat. Diese Art der individuellen Anpassung ist vor allem in Asien und Afrika zu beobachten – in Europa und Nordamerika hingegen weniger. In Europa wird mehr auf infrastrukturelle und technische Massnahmen wie beispielsweise Frühwarnsysteme oder den Bau von Flutmauern gesetzt.
Nebst technischen Massnahmen spielt auch die Natur selbst eine wichtige Rolle bei der Anpassung an den Klimawandel, wie im aktuellsten Klimabericht aufgezeigt wird.2 Im Fokus stehen sogenannte «Nature based solutions (NbS)». Doch was versteht man unter NbS und kommen diese auch in der Schweiz zum Einsatz? Das IPCC-Glossar definiert sie als «Massnahmen zum Schutz, zur nachhaltigen Bewirtschaftung und zur Wiederherstellung natürlicher und veränderter Ökosysteme, mit denen gesellschaftliche Herausforderungen wirksam und anpassungsfähig angegangen werden können und die gleichzeitig dem menschlichen Wohlbefinden und der biologischen Vielfalt zugutekommen».3 In der Schweiz kommen NbS schon lange zum Einsatz: Schutzwälder in den Alpen beispielsweise schützen vor Lawinen oder Steinschlag. Auch die Wiederherstellung von Pufferzonen und Überschwemmungsgebieten zur Absorption von Abflussspitzen und zum Schutz vor Überschwemmungen erfährt aufgrund der Synergien mit der Erhaltung der biologischen Vielfalt und dem Klimaschutz zunehmende Aufmerksamkeit.
Die Ausweitung dieser Massnahmen birgt ein grosses Potenzial: NbS können Klimarisiken verringern, sie dienen dem Klimaschutz und erhöhen die Biodiversität – all dies führt zudem auch zu einem besseren Wohlbefinden der Menschen. In gewissen Fällen könnten NbS jedoch auch negative Auswirkungen haben: etwa wenn beispielsweise grossflächig nicht einheimische Monokulturen angebaut werden.
Doch auch die NbS selbst sind durch den Klimawandel bedroht: Wir wissen, dass bei einer Erwärmung von über 1,5 Grad Celsius die Wirksamkeit von NbS zur Verringerung von Risiken abnehmen wird. In der Tat kann in vielen Bergregionen eine Anpassungsgrenze, das heisst ein Zeitpunkt, ab dem eine Anpassungsmassnahme zur Risikominderung unwirksam wird, nicht ausgeschlossen werden.
Wissenschaft kann bei Wahl und Umsetzung von Anpassungsmassnahmen helfen
Ganz offensichtlich ist die Anpassung an den Klimawandel ein sehr komplexes Unterfangen. In welchem Umfang man anpassen muss, hängt massgeblich davon ab, wie stark in Zukunft die Temperaturen und somit auch die damit verbundenen Risiken steigen werden. Hier soll das akademische Konzept des «Lösungsraums» Hilfe bieten: Es kann sehr nützlich sein, um die Umsetzung von Anpassungsmassnahmen zu leiten und Entscheidungsfindungen anzuregen, die dynamischer und robuster sind gegenüber zukünftigen Veränderungen.
Der Lösungsraum definiert, was in Bezug auf die Anpassung funktioniert und was nicht, wer sich anpasst, wann eine Anpassungsmassnahme nicht mehr wirksam ist und welche Faktoren den Erfolg einer Anpassung beeinflussen.4 Der Lösungsraum wird durch den Klimawandel selbst, aber auch durch externe Faktoren wie die sozioökonomische Entwicklung, kulturelle Einflüsse, verfügbare Informationen und bestehenden Pfadabhängigkeiten beeinflusst. Das Verständnis des Zusammenspiels der Kräfte, die den Lösungsraum formen, schafft Möglichkeiten für eine wirksame Anpassung. Vor allem aber zeigt das Konzept des Lösungsraumes auf, dass die Anpassung an den Klimawandel durch Governance, gesellschaftliche Entscheidungen, Regeln/Verordnungen, menschliche und wirtschaftliche Ressourcen geprägt ist.
In Gebirgsregionen zeichnet sich der Lösungsraum durch Anpassungsmassnahmen aus, die flexibel sind, mehrere Risiken gleichzeitig berücksichtigen und die Ansichten, Bedürfnisse und Werte aller betroffenen Akteure einbeziehen. Bei einer globalen Erwärmung von mehr als 1,5 Grad Celsius wird der Lösungsraum in den Bergen jedoch zunehmend eingeschränkt, da mehrere Anpassungsmassnahmen nicht mehr gut funktionieren. So könnte die Schutzfunktion von Wäldern bei wärmeren und trockeneren Bedingungen beeinträchtigt werden. Aber auch Infrastrukturen zum Schutz vor Naturgefahren könnten nicht mehr wirksam sein, wenn beispielsweise Hochwasserereignisse zunehmen werden. Generell gilt bei vielen Anpassungsmassnahmen, dass diese eine lange Vorlaufzeit benötigen: Ein neu gepflanzter klimaresilienter Schutzwald, mit Bäumen, die höheren Temperaturen standhalten, braucht viele Jahre Zeit, um zu wachsen.
Das Zeitfenster, in dem wir uns an den Klimawandel in den Bergen und überall sonst auf der Erde anpassen können, wird immer kleiner und kleiner. Es gilt deshalb, schnell zu handeln – sowohl bei Massnahmen im Bereich der Minderung als auch bei der Anpassung an den Klimawandel.
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Veruska Muccione forscht am Geographischen Institut der Universität Zürich zum Klimawandel mit Fokus auf Auswirkungen, Risiken und Anpassung in Berggebieten und urbanen Räumen. Beim Sechsten Sachstandsbericht des IPCC war sie Hauptautorin in der Arbeitsgruppe II für die Kapitel Europa sowie Berge.
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Referenzen
1Adler C, Wester P, Bhatt I, Huggel C, Insarov GE, Morecroft MD, Muccione V and Prakash A (2022) Cross-Chapter Paper 5: Mountains. In: Climate Change 2022: Impacts, Adaptation, and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Pörtner HO, Roberts DC, Tignor M, Poloczanska ES, Mintenbeck K, Alegría A, Craig M, Langsdorf S, Löschke S, Möller V, Okem A, Rama B (eds.)]. Cambridge University Press. In Press.
2Parmesan C, Morecroft MD, Trisurat Y, Adrian R, Anshari GZ, Arneth A, Gao Q, Gonzalez P, Harris R, Price J, Stevens N, Talukdarr GH (2022) Terrestrial and Freshwater Ecosystems and their Services. In: Climate Change 2022: Impacts, Adaptation, and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Pörtner HO, Roberts DC, Tignor M, Poloczanska ES, Mintenbeck K, Alegría A, Craig M, Langsdorf S, Löschke S, Möller V, Okem A, Rama B (eds.)]. Cambridge University Press. In Press.
3IPCC (2022) Annex II: Glossary [Möller V, Matthews JBR, van Diemen R, Méndez C, Semenov S, Fuglestvedt JS, Reisinger A (eds.)]. In: Climate Change 2022: Impacts, Adaptation, and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Pörtner HO, Roberts DC, Tignor M, Poloczanska ES, Mintenbeck K, Alegría A, Craig M, Langsdorf S, Löschke S, Möller V, Okem A, Rama B (eds.)]. Cambridge University Press. In Press.
4Haasnoot M, Biesbroek R, Lawrence J, Muccione V, Lempert R, Glavovic B (2020) Defining the solution space to accelerate climate change adaptation. Regional Environmental Change, 20(2), 1–5.