«Konsumierende wollen keine Gentechnik» taugt als Mantra nicht
Carte Blanche von Angela Bearth, ETH Zürich
17.08.2021 – Mit dem Argument «Konsumierende wollen nicht» wird seit Jahren jegliche Debatte über Gentechnologie in der Landwirtschaft abgewürgt. Dabei ist erstens nicht so klar, was Konsumierende wollen, und zweitens hängt dies stark von der Debatte ab.
Der Beitrag gibt die persönliche Meinung der Autorin wieder und muss nicht mit der Haltung der SCNAT übereinstimmen.
Das Gentechnologie-Moratorium in der Schweiz wird dieses Jahr voraussichtlich erneut verlängert. Ein Hauptargument: die Ablehnung von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln durch Konsumierende. So felsenfest, klar und unverrückbar, wie oft dargestellt, ist die Haltung gegenüber neuen Technologien aber keineswegs.
Wenn wir neue Technologien und deren Risiken einzuschätzen versuchen, verlassen wir uns häufig auf so genannte Heuristiken. Das sind Daumenregeln, die Entscheidungen unter Unsicherheit vereinfachen, aber zu verzerrten Einschätzungen führen können. Ein Beispiel ist die «Natürlich-ist-besser» Heuristik. So wird Natürlichkeit irrtümlicherweise als Zeichen für bessere Qualität, Sicherheit oder Gesundheit genommen. Bestehende Methoden der Pflanzenzüchtung werden interessanterweise als natürlicher und dadurch sicherer wahrgenommen als neuere Methoden, wie die Gentechnologie.
Die Katze beisst sich in den Schwanz
Der Bauernverband schreibt auf der Webseite, dass es keine überzeugenden Gründe gibt, den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen zuzulassen, solange die Konsumierenden diese Produkte ablehnen. Die Aussage ist gepaart mit einem Bild von einem Forscher mit Schutzbrille und Handschuhen, in seiner Hand eine Erdbeere, in der eine Spritze steckt. Dieses und ähnliche Symbol-Bilder, die auch in Zeitungsartikeln zur Gentechnologie häufig vorkommen, aktivieren Heuristiken in uns. Wenn Konsumierende gefragt werden, ob sie eine gentechnisch hergestellte Erdbeere essen würden, werden die im Gedächtnis abgespeicherten und mit negativen Gefühlen behafteten Bilder abgerufen. Dies führt, verständlicherweise, häufig zu einer ablehnenden Haltung. Da beisst sich die Katze in den Schwanz: Der Bauernverband und andere Akteure fördern die ablehnende Haltung der Konsumierenden, und stützen sich dann in der Debatte übers Moratorium darauf.
Viele Studien sind einseitig
Als Beweis für die mangelnde Konsumentenakzeptanz werden häufig ältere Studien zitiert oder Studien, die sich auf ungeeignete Methoden und Daten stützen. Viele Studien fokussieren nur auf die Risikowahrnehmung (z.B. «Wie gefährlich finden Sie Gentechnologie?») und lassen Abwägungen von möglichen Risiken und persönlichen oder gesellschaftlichen Nutzen aussen vor. Innovative Technologien werden jedoch nicht eingesetzt, weil wir können, sondern um einen bestimmten Zweck zu erfüllen. Aus der Forschung wissen wir, dass Leute bereit sind ein kleines Mass an Unsicherheit oder Risiko zu akzeptieren, wenn sie einen relevanten Nutzen sehen. Ein Beispiel: Wenn die Gentechnologie dazu beiträgt, den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft zu reduzieren, könnte die Technologie durchaus auf Akzeptanz stossen.
«Schnappi, das kleine Krokodil» und «Crazy Frog» waren 2005 in der Schweizer Jahreshitparade; zur gleichen Zeit wurde über das Gentechnologie-Moratorium entschieden. Die Gesellschaft entwickelt sich weiter, auch die Gentechnologie. Es sind viele neue, präzisere Werkzeuge entstanden, die so genannte Genom-Editierung. Die Gesetzgebung differenziert nicht und unterstellt auch die neuen Werkzeuge dem Moratorium. Die Bevölkerung scheint dies differenzierter zu sehen: Neuere Studien zeigen eine Offenheit der Bevölkerung gegenüber dem Einsatz von Genom-Editierung in der Pflanzenzüchtung. Es wächst möglicherweise eine neue Generation heran, welche offener ist für innovative Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen. Statt das Mantra zu wiederholen, dass alle Konsumierenden Gentechnologie situationsunabhängig und grundsätzlich ablehnen, sollten neue sozialwissenschaftliche Daten zur Konsumentenwahrnehmung von Gentechnologie erhoben werden.
Wir brauchen einen Neustart der Debatte
Klimawandel, Pestizide, schwindende Biodiversität – die Landwirtschaft und mit ihr die Schweiz stehen vor grossen Herausforderungen. So ernsthaft die Bedenken und Unsicherheiten der Bevölkerung gegenüber der Gentechnologie miteinbezogen werden müssen, so ernsthaft müssen wir uns damit auseinandersetzen, ob und wie Gentechnologie in der Pflanzenzüchtung zu Lösungen beitragen kann. Nur so kann ein ehrlicher und produktiver Dialog zwischen Forschung, Interessensvertretern und der Öffentlichkeit geführt werden. Wir brauchen dringend einen Neustart der Debatte. Die Herausforderungen sind zu drängend, um uns jahrzehntelang unter den alten Argumenten einzubunkern.
Angela Bearth ist Sozialwissenschaftlerin am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich und Vizepräsidentin des Forums Genforschung der SCNAT.
Authors: Dr Angela Bearth
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