Lasst uns Brücken bauen
ProClim Flash 67
Reto Knutti, Professor für Klimaphysik, ETH Zürich
Der Gedanke scheint logisch: Wenn die wissenschaftlichen Fakten genügend klar sind, reagieren Gesellschaft und Politik darauf und treffen eine rationale und kosteneffiziente Entscheidung. Viele von uns klammern sich an dieses «Defizitmodell», wie es zum Beispiel im «Hartwell Paper» beschrieben ist: Forscherinnen und Forscher «giessen» Fakten in das Gehirn der Entscheidungsträgerinnen und -träger, beheben so deren Wissensdefizit und lösen damit aus, dass sie die Probleme erkennen und faktenbasiert handeln.
Während meines einjährigen Forschungsaufenthalts in den USA wurde mir klarer denn je, wie weit weg unsere Gesellschaft von diesem Idealbild ist: Meine Tochter hat im Kindergarten den Unterschied zwischen Fakten und Meinungen gelernt. Gleichzeitig bastelte und bastelt sich die Politik ihre eigene Realität aus einem Baukasten von Halbwahrheiten, Fake News und «alternativen Fakten». Mehr noch, es scheint den Politikerinnen und Politikern nicht zu schaden. Die Lüge ist normal geworden, bis in die höchsten politischen Ämter.
Unser Handeln ist oft irrational. Und es ist bekannt, dass unsere Wahrnehmung und Prioritäten vor allem auf Erfahrung basieren und von den Meinungen derer beeinflusst sind, die uns nahestehen. Man muss nicht in den USA sein, um zu erkennen, dass Fakten als Argumente heute weniger zählen, sich die Polarisierung der Meinungen akzentuiert hat und dass linientreue Parteipolitik zur Religion geworden ist, links wie rechts. Die Debatten in den Bereichen Umwelt, Klima und Energie sind beste Beispiele dafür.
Resignation ist allerdings keine Antwort auf diese Herausforderungen. Da wir jedoch weder den Krieg gegen Fake News gewinnen können, noch Forschungsresultate alleine genügen, müssen wir Brücken bauen zwischen den Menschen. Indem wir Geschichten erzählen über das, was uns Forschende antreibt, indem wir erklären, wo die Risiken und Lösungen sind, ohne zu werten und ohne vorzuschreiben, was zu tun ist. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geniessen ein hohes Vertrauen in der Öffentlichkeit, aber wir müssen die Bedeutung unserer Forschung besser erklären. Und wir alle – ob aus der Wissenschaft oder nicht – können in unserem Kreis von Gleichgesinnten einen konstruktiven Dialog starten.
Diesen Dialog führt ProClim schon seit vielen Jahren. Als Forum für Klima und globalen Wandel hat ProClim nicht nur ein hervorragendes Netzwerk innerhalb der Wissenschaft aufgebaut, sondern Brücken gebaut zwischen Menschen aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Gesellschaft und Wirtschaft. Dazu dient auch die Zeitschrift «ProClim Flash», die Sie heute zum ersten Mal im neuen Gewand sehen.
Ein afrikanisches Sprichwort sagt: «Wenn Du schnell gehen willst, geh alleine. Wenn Du weit gehen willst, gehe mit anderen zusammen.» Bei Umwelt- und Klimafragen müssen wir nicht nur schnell gehen, sondern auch weit. Der Weg ist schwierig, aber es gibt keinen anderen. Also lassen Sie uns zusammen an die Arbeit gehen, Brücken bauen, Geschichten erzählen und die Welt für die nächsten Generationen aktiv gestalten.
Als neuer Präsident von ProClim freue ich mich auf viele spannende und gemeinsame Projekte mit Ihnen allen!
Reto Knutti
Professor für Klimaphysik, ETH Zürich