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Christoph Beer: «Sammlungen sind ein Natur- und Kulturgut»

Warum naturwissenschaftliche Museums-Sammlungen so wertvoll sind

Keine Forschung ohne Datenbasis. Kein Naturschutz, wenn man nicht weiss, was überhaupt vorhanden ist. Naturhistorische Museen sind Archive der Natur. In jüngster Zeit geraten sie schweizweit unter Druck. Christoph Beer, Direktor am Naturhistorischen Museum in Bern, kämpft für den Erhalt von Sammlungen – auch als Präsident des Verbandes der Naturmuseen.

Christoph Beer
Image: Lisa Schäublin/NMBE

Eine Behauptung: Naturhistorische Museen sind die erratischen Blöcke in der Museumslandschaft. Sie bewegen sich kaum, und ihnen kann man nichts anhaben.

Christoph Beer: Diese Behauptung stimmt definitiv nicht mehr. Die um sich greifenden Sparbemühungen bringen die Naturmuseen immer mehr unter Druck. Im Kanton Glarus wurde etwa die Sammlung reduziert und in La Chaux-de-Fonds das Naturhistorische Mu- seum ganz geschlossen. Die Aussage ist aber auch nicht richtig, weil auch die Naturhisto- rischen Museen in Bewegung geraten sind. Einige versuchen, mit innovativen Ansätzen neues Publikum zu gewinnen.

Warum sind die Sammlungen in Naturhistorischen Museen heutzutage überhaupt noch wichtig?

Sammlungen sind ein Natur- und Kulturgut. Sie bilden die Biodiversität ab. Ohne den Jetzt-Zustand zu kennen, können keine Massnahmen zum Erhalt der Biodiversität ergriffen werden. Derzeit findet ein Artensterben in nie gekanntem Ausmass statt. Den Naturhistorischen Museen kommt hier eine Schlüsselrolle zu. Sie dokumentieren, was in wenigen Jahren vielleicht schon verschwunden oder noch zu retten ist.

Haben Sie ein Beispiel?

Wir im Naturhistorischen Museum Bern beschäftigen zwanzig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Leiter der Abteilung Wirbeltiere, Stefan Hertwig, bereist mit seinem Team regelmässig Borneo, wo er in abgelegenen Gebieten Frösche sammelt. Die neuen Arten, die er entdeckt, liefern Argumente, diese letzten Rückzugsgebiete in diesem stark gefährdeten Gebiet erhalten zu können. Bevor man etwas schützen kann, muss man wissen, was vorhanden ist. Zudem lagert das Material dann für Jahrzehnte, wohl Jahrhunder- te in unserer Sammlung. Dadurch wird das genetische Material auch nachfolgenden Forschungsgenerationen noch zu Verfügung stehen. Gerade in Südostasien gilt derzeit der Grundsatz: Retten, was man noch retten kann.

Aber nicht jedes Museum muss doch eine lückenlose Sammlung aufweisen?

Nein, es macht wirklich keinen Sinn, wenn alle dasselbe Spektrum aufweisen. Ich bin rea- listisch: Wir müssen nicht jedes präparierte Eichhörnchen erhalten. Aber gerade darum ist die vermehrte Kooperation angebracht. Wir müssen unsere Kräfte bündeln, vor allem die grösseren Institutionen – hier macht es Sinn, dass wir uns spezialisieren. Nicht alle Häuser müssen von allem ein bisschen haben.

Sollte in der Öffentlichkeit das Bewusstsein um die Wichtigkeit von Sammlungen wachsen?

Die Akademie für Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) hat den Erhalt von Sammlungen zu einem Schwerpunkt-Thema erkoren – was ich sehr begrüsse. Es ist wichtig, dass wir auch gegenüber der Politik zeigen, wie wichtig Sammlungen sind. Auch gerade für die Forschung ist es entscheidend, dass man eine gute Datenbasis hat.

Viele Sammlungen sind ungenügend erschlossen.

Oft fehlen die Ressourcen, um die Sammlungen aufzuarbeiten. In unserem Haus haben wir schätzungsweise 6,5 Millionen Objekte, gerade bei den Wirbellosen Tiere ist aber ein markanter Teil davon noch nicht aufgearbeitet. Dadurch entdecken wir auch immer wieder neue Arten, teilweise in alten Sammlungsbeständen.

Könnte man die Sammlungen der verschiedenen Museen nicht besser vernetzen?

Auf jeden Fall. Wir brauchen gemeinsame Datenbanken über alle Museen. Es gibt Bei- spiele, die international funktionieren. Nur kostet das viel Geld – und es gibt ein Problem.

Das wäre?

Im Unterschied zu Deutschland haben die Naturmuseen hierzulande unterschiedliche Kostenträger. Die meisten Museen gehören Städten oder Kantone. Die Naturhistorischen Museen erhalten keine Fördergelder vom Bund. Es gibt keine nationale Akademie, welche die Arbeit der grossen Naturmuseen fördert und beurteilt. Damit fehlt auch eine zent- rale Stelle, welche die Sammlungs- und Forschungsarbeit der Häuser orchestriert. Oder die Erschliessung der Sammlung vorantreibt.

Sie sind neu Präsident des Verbands Naturhistorisches Museen. Dieser wurde erst vor drei Jahren gegründet. Jahrzehntelang ging es ohne, nun scheint es ihn zu brauchen?

Ja, es ist wichtig, dass es eine Interessenvertretung der Naturhistorischen Museen gibt. Wir müssen den politischen Behörden und der Öffentlichkeit aufzeigen, was der Wert von naturkundlichen Museen und Sammlungen darstellt.

Und der Verband kann diese Plattform bieten, um sich besser zu vernetzen?

Ich bin ehrlich: Wir können diese Kooperation stimulieren, aber erzwingen können wir nichts – dazu fehlt uns die Kompetenz. Wir sind angewiesen auf den Kooperationswillen der einzelnen Häuser.

Dr. Christoph Beer (54) ist seit 2011 Direktor am Naturhistorischen Museum Bern, eine Institution der Burgergemeinde Bern. Beer ist seit diesem Jahr Präsident des Verbandes der Naturhistorischen Museen der Schweiz. Zudem präsidiert Beer die Eigenössiche Geologische Fachkommission, die den Bundesrat in geologischen Fragen berät.

Interview: Simon Jäggi

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