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«Das West-Nil-Fieber wird eine grössere Rolle spielen»

ProClim Flash 79

Der medizinische Entomologe Pie Müller forscht am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut. Im Interview zeigt er auf, welche Auswirkungen der Klimawandel auf die Gesundheit haben kann.

Pie Müller ist medizinischer Entomologe mit einem primären Interesse an der Biologie von krankheitsübertragenden Vektoren. Er leitet am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut die Einheit «Vector Biology» und ist Dozent an der Universität Basel.
Image: Joachim Pelikan

Text: Severin Marty

Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte sind Stechmücken: Was haben diese mit der Gesundheit zu tun?

Stechmücken können Krankheiten als sogenannte Vektoren von Menschen auf Menschen oder von Tieren auf Menschen übertragen. Die Weibchen brauchen Blut, um Eier zu produzieren. Bei der Blutentnahme können Krankheitserreger wie Viren oder Parasiten aufgenommen werden. Diese vermehren sich in der Stechmücke und werden beim nächsten Stich weitergegeben. Das ist fatal: Schätzungen gehen davon aus, dass in der Geschichte der Menschheit bis zur Hälfte aller Todesfälle auf stechmückenübertragene Krankheiten zurückzuführen sind. Die meisten davon in den Tropenregionen.

Inwiefern besteht ein Zusammenhang zum Klimawandel?

Hier ist zwischen direkten und indirekten Zusammenhängen zu unterscheiden. Vektorübertragene Krankheiten, die wir sonst eher aus den Tropen kennen, werden vermehrt bei uns ein Thema. Grundsätzlich nimmt die Durchschnittstemperatur in unseren Breitengraden zu. Dies begünstigt die Vermehrung und Verbreitung von Vektoren wie auch Viren. Die Asiatische Tigermücke zum Beispiel wird sich weiter ausbreiten können und überlebt durch mildere Winter an Orten, wo es zurzeit für sie zu kalt ist. Mit den heutigen Methoden können wir die Populationen verringern, aber deren Verbreitung nicht verhindern.

Mildere Temperaturen führen dazu, dass Zecken und Mücken länger im Jahr aktiv sind. Zum Beispiel wird die bei uns weit verbreitete Zecke «Gemeiner Holzbock» aktiv, sobald die Temperatur über 7 °C steigt. So sind Zecken bei milden Temperaturen bereits im Winter aktiv. Ein weiterer Aspekt höherer Temperaturen ist, dass sich diese Tiere anders und weiter verbreiten. Zecken fühlen sich zunehmend in höheren Lagen und nördlicheren Breiten wohl. Allerdings spielt nicht nur die Temperatur, sondern auch der Niederschlag eine Rolle, was genauere Voraussagen erschwert.

Was bedeutet dies in Bezug auf Krankheiten?

Die Zunahme an Vektoren und Viren erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich Krankheiten ausbreiten. Zecken sind insbesondere für die Verbreitung von Borreliose und FSME verantwortlich. In der Schweiz wird neben den zeckenübertragenen Krankheiten vermutlich das West-Nil-Fieber eine grössere Rolle spielen, in Frankreich und Italien traten bereits auch schon Fälle von anderen mückenübertragenen Tropenkrankheiten wie dem Dengue- oder Chikungunya-Fieber auf. Bei Dengue und Chikungunya spielt aber vor allem viel Zufall mit, da deren Ausbruch von Einschleppungen der Viren durch Reiserückkehrende abhängt, so dass Ort und Zeit eines Ausbruchs nicht vorhergesagt werden können.

Welches sind die indirekten Auswirkungen des Klimawandels?

Es ist davon auszugehen, dass die Menschen bei milderem Klima mehr Zeit im Freien verbringen. Dadurch könnte sich das Infektionsrisiko durch vermehrten Kontakt mit Vektoren bzw. Krankheitserregern erhöhen. Oder das veränderte Klima kann dazu führen, dass sich die Vegetation verändert und dadurch Vektoren oder die Wirtspopulationen begünstigt werden – oder auch umgekehrt. Die Zusammenhänge von direkten und indirekten Faktoren sind sehr komplex. Am Beispiel der Stechmücke lässt sich der One-Health-Ansatz gut veranschaulichen. Er berücksichtigt die Wechselwirkungen zwischen der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt. In Europa wird beispielsweise ein Zusammenhang zwischen der Klimaerwärmung und der Ausbreitung des West-Nil-Virus vermutet. Das Virus wird von Mücken zwischen Vögeln übertragen, während unsere Hausmücke das Virus von den Vögeln auch auf den Menschen übertagen kann. Durch die zunehmende Hitze entwickeln sich sowohl Mücken wie die Viren in den Mücken rascher, während starke Regenfälle zu mehr Brutstätten für die Mücken führen und so deren Populationen rasch anwachsen lassen.

Umgekehrt könnte die Trockenheit während den Sommermonaten zu mehr Kontakten zwischen Vögeln und Mücken um die verbleibenden Wasserstellen führen, was die Verbreitung des Virus innerhalb der Vogelpopulation begünstigt. Dadurch wird auch eine Übertragung auf den Menschen wahrscheinlicher. Solche komplexen Zusammenhänge hängen von einer Vielzahl von Faktoren ab und sind schwer zu modellieren.

Welche Massnahmen können die Verbreitung von Krankheiten eindämmen?

Ein gutes Monitoring ist entscheidend: In Norditalien werden Stechmücken auf das West-Nil-Virus untersucht. So kann die Zirkulation der Viren früh erkannt werden, bevor diese bei den Menschen nachgewiesen werden. Denn das Problem beim West-Nil-Virus ist, dass Menschen oft keine Symptome haben und die Krankheit erst spät erkannt wird. Da die Krankheit auch durch Bluttransfusionen übertragen werden kann, lohnt sich diese Früherkennung auch finanziell, da im Anfangsstadium ein Testen der Mücken billiger ist, als jede Blutkonserve zu überprüfen.

Wer muss handeln?

Monitoring und Bekämpfung erfordern eine gute Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Akteuren. Wie bereits erwähnt, bewegen wir uns bei vektorübertragenen Krankheiten und den Auswirkungen des Klimawandels in komplexen Wechselbeziehungen zwischen Mensch, Tier und Umwelt. Krankheitserreger wie das West-Nil-Virus werden von Tieren auf den Menschen übertragen, gerade hier ist es wichtig, dass die Veterinärmedizin mit der Humanmedizin im Austausch steht. Aber auch andere Personen, etwa aus dem Umweltbereich oder Jägerinnen und Jäger, sollten unbedingt einbezogen werden.

Gibt es hier gute Beispiele?

Die Tigermücke ist ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit verschiedener Akteure in der Schweiz. Das Bundesamt für Umwelt koordiniert das schweizweite Monitoring und die Kantone sind für die Bekämpfungsmassnahmen zuständig. Der Kanton Tessin nahm hier eine Vorreiterrolle ein, wo bereits seit Beginn alle Akteure, von der Ärzteschaft bis zum Tourismus, zusammengearbeitet haben.

Wie können wir uns auf zunehmende Risiken vorbereiten?

Neben einem Monitoring zur besseren Erfassung und Abschätzung der Entwicklung braucht es Massnahmenpläne bei Krankheitsausbrüchen mit klaren Zuständigkeiten und Abläufen. Dabei ist sicherlich zu berücksichtigen, welche Krankheiten für die Schweiz aktuell eine Gefahr darstellen. Das West-Nil-Virus wurde in der Schweiz in Stechmücken nachgewiesen, das ist sehr wahrscheinlich. Andere Krankheiten wie das Dengue-Fieber sind zurzeit weniger wahrscheinlich, obwohl es letztes Jahr einen Ausbruch in der Region des Gardasees gab – ganz auszuschliessen ist es nicht.

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ist medizini- scher Entomologe mit einem primären Inte- resse an der Biologie von krankheitsübertragenden Vektoren. Er leitet am Schweize- rischen Tropen- und Public-Health-Institut die Einheit «Vector Biology» und ist Dozent an der Universität Basel.

Gemeldete Fälle der Asiatischen Tigermücke in der Schweiz seit dem Jahr 2000.
Gemeldete Fälle der Asiatischen Tigermücke in der Schweiz seit dem Jahr 2000.Image: info fauna – CCO/KOF, swisstopo

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