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Ethische Dimensionen der Synthetischen Biologie

Die Synthetische Biologie entwirft neue Lebensformen, die menschlichen Bedürfnissen dienen und für Mensch und Umwelt dienliche Funktionen erfüllen sollen. Die neuen technischen Möglichkeiten lassen auf grosses Potential für neuartige und kostengünstige Anwendungen, beispielsweise in der Medizin, hoffen. Andererseits ist schwieriger vorauszusehen, welche unerwünschten Entwicklungen Organismen, die nicht mehr viel mit natürlichen Lebewesen zu tun haben, allenfalls mit sich bringen. Auch könnte ihr neues Potential für schädliche Zwecke missbraucht werden. Diese Eigenschaften der Synthetischen Biologie werfen ethische Fragen auf, von denen hier einige kurz erläutert werden.

Jugendliche auf einer Treppe
Image: _Michel (flickr)

Wirft die Synthetische Biologie neue ethische Fragen auf?

Als Antwort auf ethische Bedenken zur Synthetischen Biologie hört man teilweise die Aussage: "Aber das sind doch gar keine neuen Fragen, diese Themen haben wir in anderem Zusammenhang schon längst diskutiert! Wirft die Synthetische Biologie denn keine neuen ethischen Fragen auf?" Eine solche Bemerkung enthält dann oft den Nebengedanken: "Wenn es keine neuen Fragen gibt, braucht man sich mit dem Thema ethisch nicht auseinanderzusetzen."

Tatsächlich ist es so, dass die meisten ethischen Themen, die im Zusammenhang der Synthetischen Biologie untersucht werden, in anderem Kontext schon diskutiert wurden. Denn auch mit anderen Ansätzen der Biotechnologie wurden und werden Lebewesen verändert. Auch in anderen Zusammenhängen wurde diskutiert, ob der erwartete Nutzen Biosicherheitsrisiken rechtfertigt. Und auch andere Technologien stellen uns vor das Dual-Use Problem (so nennt man das Problem, dass eine Technologie nicht nur zu wohlwollenden Zwecken eingesetzt werden kann, sondern auch, um gezielt Schaden anzurichten). Werden solche Punkte wieder untersucht und diskutiert, ist es wichtig, dass die vorangegangenen Diskurse herangezogen und die damals vorgebrachte Argumente auf ihre Gültigkeit im neuen Kontext geprüft werden. Die neuen technischen Möglichkeiten, die neuen Ideen für Anwendungen, der neue historische Kontext und nicht zuletzt die Erfahrung aus vorhergehenden Diskursen können neue ethische Argumente ins Spiel bringen oder dazu führen, dass alte Argumente anders gewichtet werden. Deshalb gehen die Ethikerinnen und Ethiker davon aus, dass der Hinweis darauf, eine Frage sei nicht "neu", alleine noch nicht ausreicht, um die ethische Auseinandersetzung mit dem Thema hinfällig werden zu lassen.

Neue Lebensformen entwerfen und herstellen

Ein zentrales Ziel der Synthetischen Biologie, neue biologische Systeme zu entwerfen, nachzubauen und zu verändern, kann zu neuen Lebensformen führen. Damit sind hier Lebensformen mit grundsätzlich neuen Eigenschaften und Fähigkeiten gemeint. Ab wann genau man einen Organismus als "neue Lebensform" bezeichnen kann, ist umstritten, aber es ist durchaus plausibel zu argumentieren, dass das auf Ebene von Mikroorganismen schon erreicht wurde, z.B. in der Produktion von Bakterien, die als Bakterienfilm Fotographien herstellen können. In solchen Organismen manifestiert sich „Leben auf neue Weise“. Dies wirft einige philosophische Fragen auf, die auch für die Ethik relevant sein können, etwa:

  • Was ist Leben? Was ist eine Lebensform?
  • Was bedeutet es, eine Lebensform zu entwerfen oder herzustellen?
  • Wann ist es angemessen, von "künstlichem Leben" zu sprechen?
  • Worin besteht der Unterschied zwischen einem Lebewesen und einer Maschine?

In dieser Diskussion stellt sich immer wieder heraus, dass es ganz unterschiedliche Vorstellungen davon gibt, was Leben ist und wie Leben erklärt werden kann. Gekoppelt daran existieren unterschiedliche Auffassungen darüber, ob Leben künstlich hergestellt werden kann und falls ja, ab wann es angezeigt ist, von künstlichem Leben zu sprechen. Daher ist heute nicht abschliessend geklärt, ob ein Bakterium, dem ein künstliches Genom eingepflanzt wurde, als künstlicher Organismus eingestuft werden soll. Weniger umstritten ist, dass die Synthetische Biologie tatsächlich neue Lebensformen entwerfen könnte, beispielsweise in der Form eines Mikroorganismus mit einem neuen Stoffwechselweg, der ihm beispielsweise die Eigenschaft verleiht, unter spezifischen Bedingungen grün aufzuleuchten. Neue Lebensformen in diesem Sinn unterscheiden sich grundlegend von herkömmlichen Lebewesen, sie sind aber nicht mit dem Anspruch verbunden, als "künstliche Organismen" zu gelten.

Weshalb sind diese Aspekte ethisch relevant? Viele Menschen haben die moralische Intuition, dass ein Lebewesen nicht einfach ein normales "Ding" ist und dass man es anders behandeln soll als (andere) Dinge. Mögliche Erklärungen dafür sind beispielsweise,

  • dass Lebewesen ein Eigenwert oder "Würde" zuzusprechen ist (wie es auch die Bundesverfassung verlangt), oder
  • dass es im Interesse jedes Lebewesens ist, zu überleben, was bedeute, dass man Lebewesen (im Gegensatz zu (anderen) Dingen) Schaden zufügt, wenn man sie am Überleben hindert. Für Personen, die diese Auffassung vertreten, ist es nicht das Gleiche ob man ein Lebewesen verändert oder herstellt oder eine Maschine.

Folgende ethischen Überlegungen können dabei eine Rolle spielen:

  • Müssen wir Lebewesen auf besondere Art respektieren und falls ja, ist das vereinbar mit dem Ziel, Lebewesen zu entwerfen und herzustellen?
  • Ist es vereinbar mit einem solchen Respekt, Lebewesen als Maschinen zu betrachten und zu gebrauchen?
  • Gelten allfällige Bedenken auch schon für einfach gebaute Lebewesen wie Bakterien?
  • Haben allfällige künstliche Lebewesen den gleichen Wert (Würde) wie natürliche Lebewesen?
  • Hat man, wenn man Lebewesen herstellt, diesen Lebewesen gegenüber eine besondere Verantwortung?
  • Spielt es eine Rolle, ob man Lebewesen zu wohltätigen Zwecken herstellt oder nur zum Spiel?

Ethische Dimensionen von Risiko und Nutzen

Angestrebte Anwendungen der Synthetischen Biologie, beispielsweise in der Medizin, zur Herstellung von Biotreibstoffen oder zur biologischen Dekontamination, werfen Bedenken über potentielle Risiken auf. Lebewesen haben die Eigenschaft, sich fortzupflanzen und zu mutieren; damit lassen sie sich weniger leicht kontrollieren als Dinge, deren Anzahl und Form sich nicht von selbst verändert. Auch die Tatsache, dass Produkte der Synthetischen Biologie mit ihrer Umgebung interagieren, könnte ethisch relevante Risiken beinhalten. In medizinischen Anwendungen, wo diese "Umgebung" der menschliche Körper ist, könnte es zu Nebeneffekten führen, bei Freilassung von Produkten in die Umwelt beeinflussen diese Interaktion Ökosysteme. Für viele Personen und auch für manche Ethikerinnen und Ethiker hängt die Antwort auf die Frage, ob eine Anwendung ethisch vertretbar ist, damit zusammen, ob die erwarteten Nutzen die Risiken überwiegen. Andere vertreten die Ansicht, gewisse Risiken seien so gross, dass kein Nutzen sie rechtfertigen könne. Es müssen aber auf beiden Seiten auch die sogenannten Opportunitätskosten berücksichtigt werden, damit sind Kosten gemeint, die daraus entstehen, dass man eine Alternative nicht verfolgt hat. Einerseits könnte der Fokus auf Synthetische Biologie verhindern, dass andere, möglicherweise effizientere Methoden verfolgt werden. Andererseits kann man sich fragen, ob es ethisch vertretbar ist, eine Anwendung, die sehr vielen Menschen helfen könnte, nicht weiterzuverfolgen, weil Leute, die diese Hilfe nicht nötig haben, Bedenken zu potentiellen Risiken äussern.

Wenn Nutzen und Risiken erwartet werden, stellt sich auch die Frage, ob sie gerecht verteilt sind; ungerecht wäre es, wenn eine Gruppe von Menschen profitierte, während andere Menschen grosse Risiken bzw. konkrete negative Auswirkungen trügen. Auch gilt es zu klären, ob die Menschen wählen können, dem Risiko ausgesetzt zu werden.

Synthetische Biologie und Gerechtigkeit

Wie bereits erwähnt, wirft die Synthetische Biologie im Bezug auf die Verteilung von Risiken und Nutzen Fragen der Gerechtigkeit auf. Andererseits stellt sich bei der Synthetischen Biologie, wie bei anderen neuen Technologien, die Frage, wie man sie einsetzen kann, dass sie den „Global Divide“ (so nennt man den Unterschied zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern) nicht weiter vertieft.

Schliesslich lassen sich auch die Diskussionen, wie der Zugang zu den Resultaten und Produkten der Synthetischen Biologie geregelt werden soll, zu den Gerechtigkeitsfragen zählen. Konkret wird hier diskutiert, ob und unter welchen Bedingungen Patente eine geeignete Lösung darstellen.

Oktober 2020

Weiterführende Informationen

  • Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) (2010) Synthetische Biologie – ethische Überlegungen. Link
  • Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) (2009) La vie artificielle - Le statut moral des êtres vivants artificiels. Beiträge zur Ethik und Biotechnologie, Band 6. Link
  • Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) (2009) Synthetische Biologie – eine ethisch-philosophische Analyse. Beiträge zur Ethik und Biotechnologie, Band 5. Link
  • Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) (2007) Leben - Eine philosophische Untersuchung. Beiträge zur Ethik und Biotechnologie, Band 3. Link
  • Presidential Commission for the study of bioethical issues (2010) New directions. The ethics of synthetic biology and emerging technologies. Link
  • Woodrow Wilson International Center for Scholars (2009) Ethical issues in synthetic biology. An overview of the debates. Synbio 3. Link
  • The European Group on Ethics in Science and New Technologies to the European Commission (2009) Ethics of synthetic biology. Opinion No 25. Link
  • Nuffield Council on Bioethics (2012) Emerging biotechnologies: technology, choice and the public good. Link

Authors: Dr Anna Deplazes Zemp

Categories

  • Synthetic biology