Biodiversität in Politik angekommen
Jetzt geht’s ums Eingemachte: die Schweiz ist mitten in der Debatte, wie die 2012 vom Bundesrat beschlossene Strategie Biodiversität Schweiz umgesetzt werden soll. Am 16. Januar 2015 trafen sich Forschende mit Personen aus Politik, Verwaltung und von NGOs zur Tagung «Biodiversität und Politik: Vielfalt bewegt», um erfolgreiche Strategien zu besprechen. Rund 220 Wissenschaftlerinnen und Fachleute folgten der Einladung zur Tagung, die vom Forum Biodiversität Schweiz organisiert wurde.
Die nächsten Schritte zum Aktionsplan zur Strategie Biodiversität und dessen Umsetzung werden schwierig, fasst Adéle Thorens Goumaz, Nationalrätin und Ko-Präsidentin der Grünen Partei, die politische Stimmung zusammen. Nicht nur wegen der Wahlen: aufgrund der teils positiven Beschlüsse bei der Energie hätten viele im Parlament nun das Gefühl, genügend für die Ökologie getan zu haben.
Die Nationalrätin empfiehlt, von der Biodiversität als Ressource zu sprechen und die sozialen, ökonomischen und kulturellen Werte in den Vordergrund zu stellen. «Nur so gewinnen wir Mehrheiten», sagt Thorens Goumaz. Für sie selbst sei klar, dass die Natur einen Wert an sich habe, aber das überzeuge die wenigsten. «Die Biodiversität darf nicht länger als Liebling nur von Biologen gelten.»
Dabei sei es wichtig, die Biodiversität in möglichst vielen Politikfeldern anzusprechen, von der Landwirtschaft bis zur Energiepolitik. Dies betonen sowohl der Politologe Thomas Widmer von der Universität Zürich wie auch Thomas Pfisterer, Alt-Regierungsrat des Kantons Aargau: «Im Aargau ist es einfach normal, dass beim Bau neuer Strassen die Naturschützer am Tisch sitzen, genauso wie die Finanzfachleute.»
Generell gilt der Kanton Aargau als Musterschüler im Natur- und Landschaftsschutz. Mit der Zeitungsschlagzeile «Frösche würden Aargau wählen» eröffnete André Stapfer seine Suche nach den aargauischen Erfolgsfaktoren. Stapfer leitete über viele Jahre die Natur- und Landschaftsschutzfachstelle. In vielen Naturschutzbereichen hat der Kanton Aargau seit Jahrzehnten Programme am Laufen, mit sehr hohen Zustimmungsraten in der Politik. «Diese Kontinuität erstaunt mich immer wieder», sagt Stapfer. «Ich denke, es hat damit zu tun, dass nach und nach eine Kultur des Naturschutzes entstanden ist», sagt Stapfer.
Doch auch im Kanton Aargau stösst der Naturschutz an Grenzen. «Wir sind in der Lage, da und dort Arten zu schützen. Aber den grossen Raum konnten wir nicht schützen», sagt Pfisterer. Auch Stapfer gesteht ein, dass sie beim Schutz der Landschaft ziemlich ratlos seien: «Wir müssen viel stärker mit raumwirksamen Branchen zusammenarbeiten», sagt er. Für Nicole Graber, Fachfrau für Biodiversität im Siedlungsraum und Mitglied im rot-rosa-grün dominierten Gemeinderat Lausanne, stellt sich nach grossen Erfolgen bei den öffentlichen Grünräumen der Stadt und einem Richtplan für Natur nun die Frage, wie es gelingen kann, die privaten Grundbesitzer für die Förderung der Biodiversität zu gewinnen.
Wie lassen sich Politik und Bevölkerung denn bewegen? Man müsse an Werte und Emotionen appellieren, aber die sachlichen Informationen seien genauso wichtig, betont Adéle Thorens Goumaz. Nur so sei man glaubwürdig und gerade in den Kommissionen zeigen sachliche Informationen durchaus Wirkung. «Gummistiefel, nicht Papier» sei das Motto im Aargau, sagt Pfisterer. Man müsse rausgehen, mit den Leuten sprechen und Dinge verwirklichen. Dabei müsse man das Herz ebenso ansprechen wie den Kopf.
Bei den sachlichen Informationen mangle es vor allem an Angaben zum ökonomischen und sozialen Wert der Biodiversität, wie mehrere Referentinnen und Referenten betonen. «Die Ökosystemleistungen helfen uns, die Brücken zu vielen Politikbereichen zu schlagen. Letztlich geht ums Lebensqualität», sagt Bertrand Von Arx von der Genfer Generaldirektion Natur und Landschaft (DGNP) und Präsident der Konferenz der Beauftragten für Natur- und Landschaftsschutz. Und er weist auf ein weiteres Manko hin: «Wir brauchen Expertinnen, welche die Biodiversität bei uns kennen – und nicht nur jene an entlegenen Orten.»
Doch das Wissen der Wissenschaft mündet nicht automatisch auch in politischen Aktionen, wie das Beispiel der Bienen zeigt. Verschiedene politische Vorstösse fordern Massnahmen zur Förderung der Honigbiene und der rund 600 Wildbienenarten in der Schweiz, unter anderem einen Massnahmenplan für die Bienengesundheit. Doch von den 33 von einer Expertengruppe erarbeiteten Vorschlägen, die nötig wären, um die Bienenfauna in der Schweiz zu erhalten, wurden im nun vorliegenden Massnahmenplan nur einige wenige aufgenommen. Bei vielen wird eine weitere Prüfung verlangt, ohne das Vorgehen zu konkretisieren. Der Wildbienenspezialist Andreas Müller, der in der Expertengruppe mitarbeitete, befürchtet, dass die Massnahmen damit nun einfach auf die lange Bank geschoben werden. Für Eva Reinhard, stellvertretende Direktorin des Bundesamts für Landwirtschaft, ist hingegen klar, dass zumindest hinsichtlich der Bestäubungsleistung kein zusätzlicher Handlungsbedarf besteht. Noch sei die Bestäubung der landwirtschaftlichen Kulturen überall gut gewährleistet, in einigen Regionen oft gar zu hoch, sodass Pflanzenschutzmittel zur Reduktion des Fruchtansatzes ausgebracht werden müssten, so Reinhard.
Wie gross der Bedarf an Überzeugungsarbeit noch ist, zeigt eine Umfrage, die Werner Müller, Geschäftsführer des SVS/BirdLife Schweiz, präsentiert. Demnach glauben 80 Prozent der Bevölkerung, dass es um die Biodiversität hierzulande gut bis sehr gut steht. Selbst bei den für das Dossier Verantwortlichen in den Gemeinden ist der Wert nur geringfügig tiefer. Das steht in krassem Widerspruch zur Realität, wie die Wissenschaft mit umfassenden Analysen gezeigt hat. Und der negative Trend ist noch immer nicht gestoppt.
Dabei ist der politische Prozess in Richtung einer Trendumkehr durchaus in Gang gekommen. Die Erarbeitung einer Strategie Biodiversität Schweiz wurde aufgrund eines Antrags von Adèle Thorens Goumaz in der Legislaturplanung 2007-2011 verankert und 2012 vom Bundesrat verabschiedet. Das Bundesamt für Umwelt hat in einem partizipativen Prozess einen umfassenden Aktionsplan entworfen. «Die Möglichkeit zur Partizipation haben wir sehr geschätzt», sagt Werner Müller. «Nun sind wir gespannt zu erfahren, wo das Geschäft steht.»
Evelyne Marendaz vom Bundesamt für Umwelt darf den Schleier nicht lüften. Der Aktionsplan befindet sich in der verwaltungsinternen Ausmarchung. Sie macht aber klar, dass der partizipative Prozess nicht von allen geschätzt wird und dass in der Diskussion wissenschaftliche Resultate «ohne Hemmung» in Frage gestellt werden.
Generell falle ihr auf, dass in der Bevölkerung die Natur und die Landschaft eine höhere Bedeutung hätten als in der Politik. Und dennoch sei die Biodiversität mittlerweile zu einem echten Thema in der Politik geworden, was ein grosser Erfolg sei, sagt Marendaz. Was es nun brauche, sei eine politische Agenda.
Felix Wirz von ecopolitics ist überzeugt, dass es – neben der inhaltlichen Biodiversitätsstrategie – nun eine politische Strategie für deren Umsetzung brauche. «Es ist wie in einem Westernfilm. Wir haben den Goldzug erfolgreich auf Reise geschickt und müssen nun die Weichen richtig stellen und die Brücken bewachen, damit er auch ankommt.» Wichtig sei es, Argumente zu liefern, weshalb das Ziel «Biodiversität erhalten» im Vergleich zu anderen Zielen stark gewichtet werden soll.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Podiums am Schluss der Veranstaltung gaben den anwesenden Wissenschaftlern und Fachleuten aus Verwaltung, Büros und Organisationen hierfür wichtige Tipps mit auf den Weg. Stefan Batzli von cR Kommunikation AG, betonte, dass der Begriff «Biodiversität» kein einfacher sei und eine gute Übersetzung brauche. Die Herausforderung bestehe nun darin, Biodiversität auf die öffentliche Agenda zu bringen – wie etwa Energie, Klimawandel oder Grüne Wirtschaft. Für Mirjam Ballmer von Pro Natura und Grossrätin GP/BS ist klar, dass ein Bewusstseinswandel stattfinden muss. «Wir brauchen eine Kultur des Biodiversitätschutzes!» Gemäss Peter Knoepfel vom IDHEAP der Universität Lausanne bietet es sich an, bei der Biodiversität von einer Ressource zu sprechen, wie dies im Rahmen des Nagoya-Protokolls bereits der Fall ist. Eine Nationalbank für natürliche Ressourcen könnte dabei eine wichtige Institution werden. Knoepfel ist zudem klar der Meinung, dass es in Zukunft mehr Gebote und Verbote brauche. «Die bisherige Politik der Anreize und Empfehlungen war zu wenig wirkungsvoll», so Knoepfel.
Batzli vergleicht die aktuelle Situation bei der Biodiversität mit jener beim Start der Nichtraucherkampagne des Bundesamtes für Gesundheit. Die Ausgangslage bei der Biodiversität sei gut: Der internationale Kontext ist gegeben, die wissenschaftlichen Facts liegen auf dem Tisch, und wir haben mit dem BAFU ein Bundesamt, das mit hohem Engagement hinter dem Thema steht und den Lead übernehmen will. Angesichts der grossen Zahl von Massnahmen im Aktionsplan rät Batzli zu einer Umsetzung in Etappen. Vor allem bei der Bevölkerung gilt es zu investieren, wo das Problembewusstsein offenbar noch nicht vorhanden ist. Der Beitrag der Wissenschaft sei dabei sehr wichtig, denn Kommunikation sei nur dann glaubwürdig, wenn die Botschaften wissenschaftlich fundiert seien. Rasch geht das nicht. «Wir können erst dann von einem Erfolg sprechen, wenn andere sagen, sie hätten es ja schon immer gesagt», so Knoepfel.
«Wir haben ein grosses Kapital an Wissen zum Thema. Das müssen wir wo immer möglich einbringen», betont Thomas Pfisterer zum Schluss. «Die Strategie ist eine Riesenchance. Packen Sie sie!»